„Lesen Sie das mal“, forderte mich vor vielen Jahren mein Deutschlehrer Herr T. auf, ein Sonett vorzulesen. „Sie können das wenigstens richtig!“ Eitel und geschmeichelt von diesem Kompliment schlug ich mein Buch auf und begann, dem Leistungskurs Deutsch die Verse „Alles ist eitel“ des Barockdichters Andreas Gryphius vorzulesen.
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;
…
Momente wie diesen gab es öfter in dem Kurs. Und ich war nicht undankbar darüber. Zum Einen genoss ich solche Zeichen der Anerkennung, von denen es in meiner Schulzeit wahrlich nicht viele gab. Jahrelang war ich verglichen mit meinen Mitschülern eher am unteren Ende des Notenspiegels. Zum Anderen war die Wahrscheinlichkeit, dass ich danach noch einmal aufgerufen wurde, sehr gering. Meine mündliche Beteiligung war für diese Stunde erledigt, sofern ich mich danach nicht aktiv zu Wort meldete. Der albernen Frage „Was will uns der Dichter damit sagen?“ musste ich mich nicht stellen.
Ok. Geschenkt. Ganz so blöde wurde in den 80er Jahren die Frage nicht mehr formuliert. Trotzdem war die Intention letztlich die Gleiche: Inhalt, Interpretation, Sinn…
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